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Ein Standpunkt

Mehr Geld = mehr Erfolg?

Mehr Geld = mehr Erfolg? Stimmt diese Formel? Hat sie jemals gestimmt?

Oder muss nicht viel genauer hingesehen werden, wo und wie wir die gigantischen Beträge, die investiert werden müssen, ausgeben wollen?

Die kommende Bundesregierung plant massive Investitionen in Rüstung, Infrastruktur und Digitalisierung. Während sich in den Bereichen Rüstung und Infrastruktur vor allem offenbar die fehlenden Mittel als limitierender Faktor darstellen, ist das Bild im Bereich der Digitalisierung schwieriger - Geld allein wird hier nicht genügen, um die Gleichung zu "mehr Erfolg" oder auch nur zu "mehr Tempo" aufgehen zu lassen.

Am Geld hat es auch in der Vergangenheit eher nicht gefehlt

"Zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes hat das koordinierende BMI zwei Programme eingerichtet: Das Digitalisierungsprogramm Bund für die Verwaltungsleistungen des Bundes und das Digitalisierungsprogramm Föderal für die Verwaltungsleistungen, die Bund und Länder gemeinsam erbringen. Dafür stellte der Bund insgesamt 3,5 Mrd. Euro zur Verfügung. Die Hälfte hiervon blieb allerdings bis Ende 2022 ungenutzt. Bund und Länder konnten bis Ende 2022 lediglich 4 % ihrer digitalisierbaren Verwaltungsleistungen gemäß den Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes anbieten. Weitere 15 % waren online verfügbar. Zudem werteten Bund und Länder eine Verwaltungsleistung schon dann als online verfügbar, wenn diese in nur einer Kommune online verfügbar ist. Der tatsächliche Digitalisierungsgrad ist daher noch deutlich niedriger." (Kurzmeldung des Bunderechnungshofs an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes vom 29.3.2023)
Unterstellt man also nun, dass es gemäß dieser Feststellungen des Rechnungshofs am Geld eher nicht gefehlt hat, müssen andere Gründe ausschlaggebend sein, dass wir in Punkto Digitalisierung im europäischen Vergleich noch immer bestenfalls nur Mittelmaß sind. Gängige Erklärungsmuster führen über das sog. SMART Konzept zur Definition von Zielen: Danach müssen (gute) Ziele:

  • I.    Spezifisch (Specific): Das Ziel sollte genau definiert sein.
  • II.   Messbar (Measurable): Es sollte klar sein, wie man das Erreichen des Ziels feststellen kann.
  • III.    Erreichbar (Achievable): Das Ziel sollte realistisch und mit den vorhandenen Ressourcen umsetzbar sein.
  • IV.    Relevant (Relevant): Das Ziel sollte sinnvoll und zielführend sein.
  • V.    Zeitgebunden (Time-Bound): Es sollte klar sein, bis wann das Ziel erreicht werden soll.


Im Umkehrschluss muss es dann also einem oder mehreren dieser fünf Punkte gemangelt haben, um zu erklären warum wir noch immer da stehen, wo wir stehen.

Spezifisch
Notwendigkeit für spezifische Ziele

"Wir müssen die Digitalisierung unseres Landes, unserer Verwaltung vorantreiben"

"Wir müssen Verwaltung so leicht wie online-Shopping machen"

"Wir müssen bei Digitalisierung einen Spritzenplatz in Europa erreichen"

So oder so ähnlich klingen die postulierten Ziele, die es vermeintlich zu erreichen gilt, wenn man insbesondere die politische Landschaft befragt. Nun ist es sicher nicht die Aufgabe von der politischen Seite, die Ziele der Digitalisierung genau zu definieren, sie ist aber sehr wohl aufgefordert, einen erforderliche Rahmen zu setzen und es so zu ermöglichen, dass ein technisches Thema auch technisch angegangen wird. Leider wurden aber viele Entscheidungen vermutlich mit Hinblick auf föderale Eitelkeiten getroffen, so dass wir heute eine geradezu absurd anmutende Anzahl (oder Unzahl) an Websites und sog. Service-Portalen haben, die vor allem sicherstellen, dass der Nutzer, das was er sucht, sicher nicht findet. Als würde die einfache Menge an Portalen aber noch nicht schon ausreichen, unterscheidet sich jedes dieser Angebote auch noch möglichst stark vom jeweils anderen. Alle föderalen Akteure (Bund, Länder und Gemeinden) wachen sehr eifersüchtig darauf, dass sein System genauso aussieht und funktioniert, wie er es will. Von der Idee des OSS (one-Stop-Shop), wie es jeder vernünftige eCommerce Anbieter verfolgt, sind wir Lichtjahre entfernt und das geschieht, obwohl es absolut naheliegend wäre, genau EINE Plattform für die Nutzung von Verwaltungsleistungen zu haben. Und um zu unterstreichen, wie wenig Gemeinsamkeit existiert, basieren die Plattformen im wesentlichen auf verschiedenen technischen Konzepten und sind weitgehend inkompatibel. Eine gemeinsame Strategie zur technischen Containerisierung, die zumindest in diesem Punkt helfen könnte, existiert nicht.

Es zeigt sich also schon in einer der simpelsten Frage nach der gemeinsamen Coperate-ID (CI), wie wenig Entscheidungen in dieser Hinsicht getroffen wurden. Nun höre ich schon den Einwand "Aber wir haben doch das EfA-Prinzip"! Hier handelt es sich nicht um die elektronische Fahrplanauskunft, sondern um ein vom BMI etablierte Arbeitsstruktur für die föderale Zusammenarbeit. Ziel dieser Arbeitsstruktur ist, dass jedes Land seine Leistungen so digitalisieren sollte, dass andere Länder diese nachnutzen können und den Onlinedienst nicht nochmal selbst entwickeln muss. Gerade hier wirkt sich aber die Vielzahl der Plattformen verheerend aus - ein Nutzer wird beim Abruf von Leistungen von Plattform zu Plattform, von Design zu Design und von Usability zu Usability geleitet. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, ob die Dinge dann am Ende funktionieren, sondern darum, wie das online-Erlebnis (auch im Sinne eines OSS) aussieht - Amazon jedenfalls würde vermutlich eher nicht auf die Idee kommen, für jedes Land und jede Gemeinde eine unterschiedlich designte und unterschiedlich funktionierende Website anzubieten.

Was will ich mit diesem Beispiel ausdrücken? Ganz einfach: wenn es um konkrete IT-Projekte geht, dann sollte man dringend auf Fachleute hören (regional-) politische Empfindlichkeiten schnell über Bord werfen und unpolitische Entscheidungen treffen. Föderale Erwägungen sind Gift für gute, gemeinsame Lösungen - auch wenn beispielsweise der IT-Planungsrat mit seiner im November 2024 beschlossenen "föderalen Digitalstrategie"   auf knapp 30 Seiten versucht etwas anderes zu vermitteln - technische Standards und Föderalismus passen zusammen, wie die Quadratur zum Kreis.

Neben der Frage nach strategischen Leitlinien für technische Plattformen und deren Umsetzung, muss man auch die Frage nach inhaltlichen Zielen stellen: Ist die Antwort auf die Herausforderung der Digitalisierung der Verwaltung wirklich ein "wir digitalisieren alle ca. 6000 Verwaltungsleistungen"?

Ein alter Spruch in der IT ist, dass wenn man ein Chaos digitalisiert, man am Ende einen digitales Chaos hat. Die öffentliche Verwaltung ist sicher kein Chaos, aber die Frage muss sein, ob es gut und sinnvoll ist, die Produkte der Verwaltung zu digitalisieren, um eine moderne und bürgernahe Verwaltung zu erreichen. Die oft mit dem Thema Digitalisierung in einem Atemzug genannte Forderung nach Entbürokratisierung legt doch einen anderen Schluss nahe: Verwaltung muss einfacher zugänglich werden, sie muss schneller werden, sie muss pro-aktiver werden - ob sie im Kern der Verwaltungsprozesse weiterhin komplex und kompliziert bleibt, ist dann fast egal. Legt man aber die Ziele einfacher, schneller und pro-aktiver zugrunde, sind plötzlich ganz andere Lösungen gefragt.

Das Erfordernis der Messbarkeit oder
"If I can't measure it, I can't steer it"

Wenn ich es nicht messen kann, kann ich es auch nicht steuern lautet eine bekannte Projekt-Management-Weisheit. "Digitalisierung" kann man im Gegensatz zur Temperatur, zur Anzahl von maroden Brücken oder der Anzahl von Schlaglöchern pro Kilometer Arbeitsweg aber nicht messen. Wir müssen uns also Kriterien einfallen lassen, die eine Zielerreichung ausmachen. Viele in der Wirtschaft gebräuchliche Kriterien fallen hier aber aus oder machen keinen Sinn - wie etwas eine Kundenumsatz-Statistik oder Produktumsätze, -alter, -Lager-drehzahl oder ähnliches. Messungen zur z.B. Kundenzufriedenheit liegen historisch nicht vor und können als Benchmark auch nicht aus kommerziellen Bereichen (wegen mangelnder Vergleichbarkeit) nicht ohne weiteres herangezogen werden. Auf der anderen Seite, liegen praktisch keine Kennzahlen zu (wenn man so will) Produktkosten vor. Auch belastbare Kennzahlen zu Durchlaufzeiten sind in der Fläche nicht verfügbar. Wie könnten dann also Kostenziele aussehen, damit nicht wahnhafte Kettensägen-Programme, wie sie derzeit in Teilen der Welt beobachtbar sind, um sich greifen können? Im Zweifelsfall wird man hier um ein "Messen zuerst" nicht herumkommen. Helfen können sicherlich Fallzahlen zum Aufkommen von Verwaltungsleistungen, wie z.B. die Untersuchung des NEGZ · Kompetenznetzwerk Digitale Verwaltung - Nationales E-Government Kompetenzzentrum e. V. aus dem Jahr 2025, welches die Top-Verwaltungsleistungen untersucht hat. Eine genauere Betrachtung verdient dabei aber auch der Umstand, dass sich die Aufwände für alle Beteiligten individuell völlig unterschiedlich darstellen: Ist eine der wichtigsten Verwaltungsleistungen (Anzahl der Fälle in Bürgerbüros) der Umzug, so ist dieser Fall für den einzelnen Bürger eher uninteressant, weil er nur alle acht bis zehn Jahre umzieht. Oft aus den Augen verloren wird dabei der Umstand, dass die wirklichen Power-User der Verwaltung die Firmen sind. Fallzahlen in diesen Bereichen sind immerhin so hoch, dass man im Sinne der Digitalisierung über eine höhere Integration nachdenken sollte - sprich Firmen als User in die Abläufe stärker und tiefer integriert und so Verwaltung zu einem Teil wirtschaftlicher Wertschöpfungskette macht.

Erreichbar
Ziele müssen realistisch und mit den vorhandenen Ressourcen umsetzbar sein

Politisch formulierte Ziele sind für technisch gelagerte Themen oftmals eine schlechte Guideline. Das OZG hat dies recht eindrucksvoll gezeigt: 

  • Es wurde im Jahr 2017 die heute eher willkürlich anmutende Zahl von 575 Verwaltungsleistungen definiert, die
  • dem Kunden (Firmen und Bürgern) bis Ende 2022 online zugänglich gemacht werden sollten.

Ende 2022 waren nach offizieller Lesart rd. 260 dieser Leistungen umgesetzt - aber weder einheitlich noch bundesweit. Nimmt man dennoch diese Zahl als Grundlage und rechnet (zugegebenermaßen böse) nach, dann wurden pro Jahr 52 Dienste umgesetzt - oder anders: bis alle knapp 6.000 Verwaltungsleistungen digitalisiert sind (siehe oben - Ziele), werden ca. 115 Jahre vergehen. Selbst wenn wir fünfmal so schnell werden, liegen wir immer noch bei 24 Jahren - niemand wird so lange warten wollen.
Wir werden also nicht umhinkommen, über unsere Ziele im Hinblick auf Ihre Erreichbarkeit zu überdenken und sie einem Realitätscheck unterziehen.

Relevant 
Das Ziel muss sinnvoll und zielführend sein

Vermutlich kann man über diesem Punkt am ehesten unterschiedlicher Ansicht sein - zusätzlich hängt dieser sehr eng mit der Erreichbarkeit von Zielen zusammen und soll daher hier nicht weiter betrachtet werden.

Zeitgebunden
Es muss klar sein, bis wann ein Ziel erreicht werden soll

Neben der einfachen Tatsache, dass Ziele immer über eine klare und vor allem realistische zeitliche Zielvorgabe verfügen sollten, muss klar sein, dass wir keine weitere Zeit zu verlieren haben. Wir sind ganz so wie im Bereich der Verteidigung und der Verkehrs- und sonstigen Infrastruktur, so stark ins Hintertreffen geraten, dass wir viel schneller werden müssen. Es ist einfach keine Zeit mehr für Herkules-Projekte (wie z.B. NOOTS). Wir müssen Dinge einfacher, disruptiver und radikal neu denken. In dieser Hinsicht ist es einfach falsch, die Verwaltung selbst mit der Umsetzung ihrer Digitalisierung zu betrauen. Ein Sprichwort sagt, das für jemanden der nur einen Hammer hat die Welt voller Nägel ist. Anders formuliert: die Verwaltung ist es gewöhnt (und ich halte das für gut und richtig!), ihre Leistungen wasserdicht zu machen, über Ausnahmen und Besonderheiten nachzudenken und auch im Klagefall bestehen zu können. Fr IT-Projekte sind solche Vorgehensweisen verhängnisvoll - der Umsetzungs-Unterschied im Aufwand zwischen 50% und 80% Abdeckungsgrad von Anforderungen ist überraschend viel kleiner, wie der Unterschied zwischen 95% und 99,8%. Das sind Tatsachen, die einem IT'ler völlig klar sind, aber aus einer Verwaltungsperspektive mit einem 100% Ansatz schwierig sind.

Summary

Wir müssen in Zielen technisch klarer werden, uns an messbaren Ergebnissen orientieren, erreichbare Wünsche formulieren und vor allem:

Wir müssen viel einfacher und viel schneller werden.

Über den Autor

Dirk-Matthias Metzger

Dirk Metzger ist Unternehmer, Berater mit den Schwerpunkten Digitalisierung und IT-Sourcing und Redner

(sein Redner-Profil finden Sie hier).